Edle Einfalt, stille Größe
- der Laokoon als Musterbeispiel der deutschen Klassik
Johann Wolfgang Goethe: Über
Laokoon
Moderne Nachahmungen
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Laokoon-Gruppe (1. Jh. n. Chr., Vatikanische Museen). In der Ilias (Trojanischer Krieg) warnt der Priester Laokoon die
Trojaner davor, das Holzpferd der Griechen in die Stadt zu ziehen. Um
ihn zum Schweigen zu bringen, schickt der Meeresgott Poseidon zwei
Seeschlangen, die Laokoon und seine zwei Söhne am Strand töten. |
Für den deutschen Archäologen und Kunstgelehrten Johann Joachim
Winckelmann (1717-1768) war der Laokoon "eine vollkommene Regel der Kunst"!
Winckelmann trug maßgeblich zum idealistischen Antikenbild der deutschen Klassik
bei, beeinflusste Goethe und Schiller, denen die Kunstwerke der alten Griechen
und Römer unerreichte Leitbilder ihres Schaffens waren. Der Laokoon war dabei
nicht nur für Winckelmann, sondern auch für G.E. Lessing und J.W. Goethe ein
herausragendes Musterbeispiel.
"Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist
endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im
Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag
noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen
Leidenschaften eine große und gesetzte Seele.
Diese Seele schildert sich in dem Gesichte des Laokoons, und nicht in dem
Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen
Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das
Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen
Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmerz, sage ich, äußert
sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er
erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von seinem Laokoon singet: Die
Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und
beklemmtes Seufzen, wie es Sadoleto beschreibet. Der Schmerz des Körpers und die
Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke
ausgeteilet, und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, aber er leidet wie des
Sophokles Philoktet: sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten,
wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können."
Johann Joachim Winckelmann: Gedanken über die Nachahmung der griechischen
Werke in der Malerei und Bildhauerkunst (1756)
[...] Um die Intention des Laokoon recht zu fassen, stelle man sich in
gehöriger Entfernung mit geschlossenen Augen davor; man öffne sie und schließe
sie sogleich wieder, so wird man den ganzen Marmor in Bewegung sehen, man wird
fürchten, indem man die Augen wieder öffnet, die ganze Gruppe verändert zu
finden. Ich möchte sagen, wie sie jetzt dasteht, ist sie ein fixierter Blitz,
eine Welle, versteinert im Augenblicke, da sie gegen das Ufer anströmt. Dieselbe
Wirkung entsteht, wenn man die Gruppe nachts bei der Fackel sieht.
Der Zustand der drei Figuren ist mit der höchsten Weisheit stufenweise
dargestellt; der älteste Sohn ist nur an den Extremitäten verstrickt, der zweite
öfters umwunden, besonders ist ihm die Brust zusammengeschnürt; durch die
Bewegung des rechten Arms sucht er sich Luft zu machen, mit der Linken drängt er
sanft den Kopf der Schlange zurück, um sie abzuhalten, dass sie nicht noch einen
Ring um die Brust ziehe; sie ist im Begriff, unter der Hand wegzuschlüpfen,
keineswegs aber beißt sie. Der Vater hingegen will sich und die Kinder von
diesen Umstrickungen mit Gewalt befreien, er presst die andere Schlange, und
diese, gereizt, beißt ihn in die Hüfte.
Um die Stellung des Vaters sowohl im ganzen als nach allen Teilen des Körpers zu
erklären, scheint es mir am vorteilhaftesten, das augenblickliche Gefühl der
Wunde als die Hauptursache der ganzen Bewegung anzugeben. Die Schlange hat nicht
gebissen, sondern sie beißt, und zwar in den weichen Teil des Körpers, über und
etwas hinter der Hüfte. Die Stellung des restaurierten Kopfes der Schlange hat
den eigentlichen Biß nie recht angegeben, glücklicherweise haben sich noch die
Reste der beiden Kinnladen an dem hintern Teil der Statue erhalten, wenn nur
nicht diese höchst wichtigen Spuren bei der jetzigen traurigen Veränderung auch
verlorengehen! Die Schlange bringt dem unglücklichen Manne eine Wunde an dem
Teile bei, wo der Mensch gegen jeden Reiz sehr empfindlich ist, wo sogar ein
geringer Kitzel jene Bewegung hervorbringt, welche wir hier durch die Wunde
bewirkt sehen: der Körper flieht auf die entgegen gesetzte Seite, der Leib zieht
sich ein, die Schulter drängt sich herunter, die Brust tritt hervor, der Kopf
senkt sich nach der berührten Seite; da sich nun noch in den Füßen, die
gefesselt, und in den Armen, die ringend sind, der Überrest der vorhergehenden
Situation oder Handlung zeigt, so entsteht eine Zusammenwirkung von Streben und
Fliehen, von Wirken und Leiden, von Anstrengen und Nachgeben, die vielleicht
unter keiner andern Bedingung möglich wäre. Man verliert sich in Erstaunen über
die Weisheit der Künstler, wenn man versucht, den Biss an einer andern Stelle
anzubringen, die ganze Gebärde würde verändert sein, und auf keine Weise ist sie
schicklicher denklich. Es ist also dieses ein Hauptsatz: der Künstler hat uns
eine sinnliche Wirkung dargestellt, er zeigt uns auch die sinnliche Ursache. Der
Punkt des Bisses, ich wiederhole es, bestimmt die gegenwärtigen Bewegungen der
Glieder: das Fliehen des Unterkörpers, das Einziehen des Leibes, das
Hervorstreben der Brust, das Niederzucken der Achsel und des Hauptes, ja alle
die Züge des Angesichts seh ich durch diesen augenblicklichen, schmerzlichen,
unerwarteten Reiz entschieden. [...]
Johann Wolfgang Goethe: Über Laokoon (1798), Digitale Bibliothek Band 2:
Philosophie, Berlin 1998, S. 44655
Ein weiterer klassischer Text, hier nicht zitiert: Gotthold Ephraim Lessing:
Laokoon - oder über die Grenzen der Malerei und Poesie,
Insel Tb 1988
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Radierung von Wilhelm Höpfner, 1939.
Aus: Max Kunze (Hrsg.): Antike - auf die Schippe genommen,
Mainz 1998 |
"Spiegel"-Titel
von 1995 |
"Laokoon I.", 1989
Gemälde von
Mathias Waske |
"Laokoon
im Legoland" Gemälde von
Peter Petri |
Verstrickungen der österreichischen Verkehrsministerin Monika Forstinger.
Karikatur aus den Salzburger Nachrichten, 24./25. Februar 2001. |
Diese
Giraffen von Martin Mißfeldt ringen
mit sich selbst. |
Ein
Laokoon aus Georgien, 2003. Aus einem
georgischen Forum in georgischer Sprache. |
Hier
passiert es an der Zapfsäule - auch eine schöne Idee, nicht nur wegen der
Spritpreise. Gemälde von Max Lehner. |
Collage
von Matthias Klemm. |
Karikatur
von 1872: Anspielung
auf die Höhe der Steuern und der Lebenshaltungskosten in der
neuen Reichshauptstadt Berlin. Kladderadatsch, 1872
Aus: Max Kunze (Hrsg.): Antike - auf die Schippe genommen,
Mainz 1998 |
Nikotinoon
Denkmalsentwurf für eine in ihrem Bestand gefährdete Art, den letzten
Kettenraucher.
Radierung von Klaus Vonderwerth, 1977
Aus: Max Kunze (Hrsg.): Antike - auf die Schippe genommen,
Mainz 1998 |
Aquarell
von Manfred Bofinger
Aus: Max Kunze (Hrsg.): Antike - auf die Schippe genommen,
Mainz 1998 |
Karikatur
aus den 70ern: Bundeskanzler Helmut Schmidt und die Kernkraft. |
Montage
des russischen Scorpions-Fans Victoria Agos.
Quelle |
"Lab
Laokoon" Skulptur des Laborwissenschaftlers
Kersten Hall |
Der
moderne Mensch im Würgegriff der Technik - ein ungarischer
Web-Exhibitionist.
Quelle
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